Interview mit Komponist Detlev Glanert
Lieber Herr Glanert,
vielen Dank, dass Sie uns und den Leser*innen von PhilharmoNEWS einen Einblick in Ihr Leben und Ihre Arbeit geben möchten! Die Besucher*innen des letzten Sinfoniekonzertes konnten Sie bereits in der Einführung und dann eine Ihrer Kompositionen im Konzert kennenlernen. In unserem nächsten Sinfoniekonzert hören wir Ihr Werk Weites Land aus dem Jahr 2013, darauf möchte ich gerne später noch näher eingehen. Zunächst mal frage ich mich, wie Sie zur Komposition gekommen sind:
Wie hat alles begonnen? Was hat Sie dazu inspiriert, mit dem Komponieren anzufangen?
Schon als kleiner Junge waren Musik und Noten für mich etwas Schönes und Faszinierendes, ich habe sie einfach nachgemalt; später habe ich dann entdeckt, dass da ein unmittelbarer Zusammenhang zum Erklingenden besteht, und ich wollte hören, was ich da geschrieben hatte. Zum Glück bin ich in einer sehr musikfreundlichen Gegend aufgewachsen, es gab in meiner Schulklasse sehr viele Instrumentalisten und ein recht gutes Schulorchester; so kam es, dass ich meine Sachen immer sofort hören konnte.
Woher nehmen Sie die Inspiration für Ihre Werke und wo bzw. wie tanken Sie immer neue Kraft für Ihre Arbeit?
Bei mir geht fast alles durchs Auge: Farben, Formen, Menschen, vor allem menschliche Gesten. Das wird alles zur Musik: das Auge hört und das Ohr sieht bei mir. Dann lese ich gern und viel. Das mit der Kraft hat, glaube ich, mit der Lust zu tun: Solange die da ist, kommt auch die Kraft.
Aus unserem Konzertpublikum haben uns auch ein paar Fragen an Sie erreicht: Unter anderem fragt sich ein Besucher des letzten Sinfoniekonzerts, welche Bedingungen, welches Umfeld Sie brauchen, um komponieren zu können.
Ein schönes Zimmer, möglichst mit Aussicht, einen großen Schreibtisch, Kaffee und Zigarren; möglichst Abwesenheit von Problemen und rhythmischen Geräuschen. Aussichten auf etwas Schönes, wie nette Leute, gutes Wetter, Spaß am Abend, schönes Essen und Trinken!
Ein anderer Besucher fragt sich auch, wie der Alltag eines Komponisten aussieht. Schreiben Sie zu ganz regelmäßigen Zeiten oder entstehen die Werke eher in unregelmäßigen Phasen je nach Inspiration?
Bei mir ist es wie bei Thomas Mann: Die Morgenstunden bis ca. 13 Uhr bringen das Entscheidende, da wird komponiert; danach macht man Reinschriften, kümmert sich um Organisation und Kommunikation. Mein Arbeitseifer erlahmt immer ziemlich pünktlich gegen 20 Uhr, danach möchte ich Leute sehen und ein paar Bier trinken. Aber geschrieben wird jeden Tag, sieben Tage die Woche.
Die Musik der Moderne hat seit ihrer Entstehung verschiedene Phasen durchlebt: von politisch motivierter, gesellschaftskritischer über 12-Ton- oder serielle Musik, Minimal Music und sehr experimentelle bis hin zur elektronischen Musik, um nur einige zu nennen. Ein interessierter Konzertbesucher möchte gerne wissen: Wo sehen Sie sich in der Tradition der Musik des 20./21. Jahrhunderts?
Ich gehöre nicht zur Hardcore-Avantgarde, sondern bin eher ein Erbe des «Zweiten Wegs»: Das waren immer die Gegenpole der Avantgarde und in Deutschland traten sie ja immer paarweise auf: Wagner/Brahms, Schönberg/Strauss, Boulez/Henze. Ich sehe mich als konservativen Anarchisten, ich möchte unabhängig sein von täglich wechselnden Modernitäten, ich versuche die Musik hinter mir ganz individuell weiterzudenken in eine Musik für die Menschen von heute. Und ich möchte keine Musik für Spezialisten schreiben. Aus persönlicher Überzeugung zum Beispiel habe ich mir selbst elektronische Musik verboten, denn es gelingt mir nicht, sie wirklich zu fühlen.
Der Begriff des «Composer in Residence» ist auch nach einigen Jahren in Bremerhaven noch immer ein recht neuer und unbekannter Begriff. Würden Sie den Leser*innen mal aus Ihrer Sicht erläutern, was es mit diesem Titel auf sich hat, warum es eine wichtige Bereicherung des Konzertlebens ist und was sich ganz konkret sowohl für den Komponisten als auch für das Publikum dahinter verbirgt?
Der Begriff hat sich ja ein bisschen selbständig gemacht und bedeutet nicht mehr, wofür er vor ca. 40 Jahren mal erfunden wurde: Da holte man sich einen Komponisten in die Stadt, gab ihm eine Wohnung und Aufträge, um für einen gewissen Zeitraum eine ganz enge Zusammenarbeit zwischen einem Orchester und einem Komponisten zu etablieren. Heutzutage ist die Wohnung entfallen und einiges andere auch; man bezeichnet damit einfach eine engere Zusammenarbeit anhand verschiedener Projekte. Dabei bekommt man einen ziemlich tiefen Einblick in das gegenseitige Denken und Machen. Und bei neuer Musik ist es immer wichtig, dass man sich an eine Schreibweise gewöhnt (wie zum Beispiel an den Erzählstil eines Schriftstellers), auch wenn man es nicht mag, kann es doch vielleicht schätzen.
Zum Schluss unseres Interviews möchte ich gerne noch näher auf Ihr Werk «Weites Land», welches wir im nächsten Sinfoniekonzert hören werden, eingehen. Darin verbergen sich bewusst Anklänge an Brahms‘ 4. Sinfonie. Wie sind Sie mit dieser Vorlage umgegangen und in welchem Verhältnis steht der Stücktitel dazu?
Brahms ist für mich in meinem fortgeschrittenen Alter immer wichtiger geworden und der späte Brahms weitet ja interessanterweise die Tonalität so sehr aus, dass er die Atonalität streift, so zum Beispiel am Anfang der 4. Sinfonie: sie beginnt mit einer Tonreihe, die aus lauter Terzenfolgen besteht und damit das tonale Zentrum wegkomponiert. Das ist faszinierend und das war es auch für ihn, weil er das in vielen Klavierstücken danach immer wieder und vielfach extremer ausprobiert. Und dann hat mich persönlich interessiert, ein Stück «mit» Brahms zu komponieren, seine und meine Klänge zu kombinieren; es ist quasi so, dass man permanent zwei Musikebenen zu hören vermeint, eine heutige und eine aus Brahms‘ Zeit.
Lieber Herr Glanert, wir bedanken uns recht herzlich und freuen uns auf das kommende Sinfoniekonzert. Alles Gute wünscht Ihnen das Philharmonische Orchester Bremerhaven.
Das Interview führte Diana Veiser.